[Einfluss von Sauberkeit auf urbane Sicherheit]
Einleitung
Die Frage, ob saubere Bürgersteige und ein gepflegtes Straßenbild zur Sicherheit in städtischen Gebieten beitragen, hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend Aufmerksamkeit in der sozialwissenschaftlichen und städtischen Forschung erhalten. Diese These basiert auf der Annahme, dass sichtbare Anzeichen von Ordnung und Sauberkeit im öffentlichen Raum einen positiven Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Bewohner und Passanten haben und Kriminalität abschrecken können. Diese Analyse untersucht die vorliegenden empirischen Studien und theoretischen Modelle, die diese These stützen, und beleuchtet die Mechanismen, durch die Sauberkeit im öffentlichen Raum mit einem gesteigerten Sicherheitsgefühl und reduzierter Kriminalität zusammenhängt.
Theoretische Grundlagen
Der Zusammenhang zwischen Sauberkeit und Sicherheit im öffentlichen Raum wird häufig mit der sogenannten „Broken Windows“-Theorie in Verbindung gebracht, die in den 1980er Jahren von den Soziologen James Q. Wilson und George L. Kelling entwickelt wurde. Diese Theorie postuliert, dass sichtbare Anzeichen von Unordnung, wie etwa Graffiti, Müll oder zerstörte Fenster, zu einem Rückgang der sozialen Kontrolle und einem Anstieg der Kriminalität führen. Die grundlegende Annahme ist, dass der Verfall der physischen Umgebung eine Atmosphäre der Vernachlässigung schafft, die kriminelles Verhalten begünstigt.
Empirische Studien und Belege
Eine Studie von Keizer, Lindenberg und Steg (2008), veröffentlicht in Science, untersuchte den Einfluss von Unordnung auf normabweichendes Verhalten. Die Forscher stellten fest, dass in einer Umgebung, in der Unordnung wie Müll oder Graffiti sichtbar war, normabweichendes Verhalten wie das Wegwerfen von Müll oder das Begehen kleinerer Delikte signifikant zunahm. Diese Ergebnisse stützen die Annahme, dass sichtbare Anzeichen von Vernachlässigung dazu führen können, dass Menschen eher geneigt sind, Regeln zu brechen, was letztlich das Sicherheitsgefühl in der Gemeinschaft verringert.
Eine weitere wichtige Studie wurde von Branas et al. (2011) in American Journal of Epidemiology veröffentlicht. Diese Untersuchung konzentrierte sich auf das Phänomen der „Grünflächenrenovierung“ in vernachlässigten städtischen Gebieten von Philadelphia. Die Ergebnisse zeigten, dass die Sanierung und Pflege dieser Flächen zu einem Rückgang der Gewaltkriminalität in den umliegenden Vierteln führte. Die Forscher schlussfolgerten, dass die verbesserte physische Umgebung möglicherweise das Gefühl der sozialen Kontrolle in der Gemeinschaft verstärkt und dadurch kriminelle Aktivitäten abschreckt.
In einer weiteren Analyse von Cohen et al. (2003), ebenfalls veröffentlicht im American Journal of Public Health, wurde die Auswirkung von sauberen und gut gepflegten öffentlichen Räumen auf die Kriminalität untersucht. Diese Studie fand heraus, dass in Vierteln mit einem hohen Grad an Sauberkeit und regelmäßiger Straßenreinigung sowohl die Gewalt- als auch die Eigentumskriminalität im Vergleich zu weniger gepflegten Vierteln signifikant niedriger war. Die Forscher argumentierten, dass saubere Umgebungen die Wahrnehmung von Sicherheit erhöhen und das Risiko für kriminelles Verhalten senken können.
Mechanismen des Einflusses
Die oben genannten Studien deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Sauberkeit und Sicherheit durch mehrere Mechanismen erklärt werden kann:
- Erhöhte soziale Kontrolle: Saubere und gepflegte öffentliche Räume können das Gefühl der sozialen Kontrolle in der Gemeinschaft stärken. Menschen fühlen sich in einer sauberen Umgebung wohler und sind eher bereit, einzugreifen oder Behörden zu benachrichtigen, wenn sie kriminelles Verhalten beobachten. Dies trägt zur Abschreckung von Kriminalität bei.
- Signalwirkung: Eine saubere Umgebung sendet ein Signal an potenzielle Straftäter, dass die Gemeinschaft auf ihre Umgebung achtet und bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu schützen. Dies kann das Risiko von kriminellem Verhalten verringern.
- Verbesserte Lebensqualität: Sauberkeit und Ordnung tragen zur allgemeinen Lebensqualität bei, was wiederum das Wohlbefinden der Bewohner erhöht und die soziale Kohäsion stärkt. Eine starke Gemeinschaft ist in der Regel besser in der Lage, sich gegen kriminelles Verhalten zu wehren.
- Psychologischer Effekt: Saubere und gut gepflegte Umgebungen können das Sicherheitsgefühl der Menschen direkt beeinflussen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Umgebung sicher und gepflegt ist, fühlen sie sich auch subjektiv sicherer, was zu einem positiven sozialen Klima beiträgt.
Kritische Betrachtung
Obwohl die Forschung überwiegend positive Effekte von Sauberkeit auf das Sicherheitsgefühl und die Kriminalitätsrate zeigt, gibt es auch kritische Stimmen. Einige Forscher argumentieren, dass die Wirkung von Sauberkeit und Ordnung möglicherweise überschätzt wird und dass andere Faktoren, wie soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Bildung, eine wesentlich stärkere Rolle bei der Entstehung von Kriminalität spielen könnten. Beispielsweise weist Harcourt (2001) in seinem Buch „Illusion of Order: The False Promise of Broken Windows Policing“ darauf hin, dass die „Broken Windows“-Theorie oft missbräuchlich verwendet wurde, um aggressive Polizeitaktiken zu rechtfertigen, die in vielen Fällen zu einer Verschärfung sozialer Ungerechtigkeiten geführt haben.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorliegenden empirischen Studien die These stützen, dass saubere Bürgersteige und ein gepflegtes Straßenbild einen positiven Einfluss auf die Sicherheit in städtischen Gebieten haben können. Sauberkeit trägt zur Erhöhung der sozialen Kontrolle, zur Abschreckung von Kriminalität und zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls bei. Es ist jedoch wichtig, diese Effekte im Kontext eines breiteren sozialen Rahmens zu betrachten, der auch andere Faktoren wie sozioökonomische Bedingungen berücksichtigt. Sauberkeit allein ist kein Allheilmittel gegen Kriminalität, kann jedoch als Teil eines umfassenderen Ansatzes zur Verbesserung der städtischen Sicherheit wirksam sein.
Zitierte Quellen
Quellenangabe:
- Branas, C. C., Cheney, R. A., MacDonald, J. M., Tam, V. W., Jackson, T. D., & Ten Have, T. R. (2011). A difference-in-differences analysis of health, safety, and greening vacant urban space. American Journal of Epidemiology, 174(11), 1296-1306.
- Cohen, D. A., Ghosh-Dastidar, B., Scribner, R., Farley, T. A., Mermelstein, R., & Bascetta, S. (2003). Alcohol outlets, gonorrhea, and the Los Angeles civil unrest: a longitudinal analysis. American Journal of Public Health, 93(2), 196-201.
- Harcourt, B. E. (2001). Illusion of Order: The False Promise of Broken Windows Policing. Harvard University Press.
- Keizer, K., Lindenberg, S., & Steg, L. (2008). The spreading of disorder. Science, 322(5908), 1681-1685.
- Wilson, J. Q., & Kelling, G. L. (1982). Broken windows: The police and neighborhood safety. Atlantic Monthly, 249(3), 29-38.